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Barrierefreiheit per Gesetz

Günther Huber 6 Min.


Im Jahr 2019 wurde der "European Accessibility Act", auch Richtlinie (EU) 2019/882 genannt, von der EU erlassen. Im Juli 2021 wurde das "Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)" verabschiedet und damit die Richtlinie der EU in nationales Recht überführt. Das Gesetz ist also bereits verabschiedet, tritt aber in wesentlichen Teilen erst am 28.06.2025 in Kraft.

Wo steht was zum BFSG?

Wer den Gesetzestext im Original nachlesen möchte, findet ihn Bundesgesetzblatt. Allerdings findet man dort keine konkreten Anforderungen. In §3 des Gesetzes findet sich der Hinweis, dass diese konkreten Anforderungen per Rechtsverordnung definiert werden.  

Diese "Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSGV)" wurde am 15.06.2022 verabschiedet und tritt analog zum Gesetz am 28.06.2025 in Kraft. Die Verordnung erhalten Sie ebenfalls im Bundesgesetzblatt. Weitere Informationen sowie Stellungnahmen von diversen Verbänden und Vereinen finden Sie auf der Webseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

In der Verordnung wiederum wird auf die Website der Bundesfachstelle für Barrierefreiheit hingewiesen. Dort finden sich Gesetze und Verordnungen, die weitere Anforderungen bezüglich Barrierefreiheit enthalten.

Für wen gilt das Gesetz?

Um festzustellen, ob Ihre Produkte oder Dienstleistungen in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, reicht ein Blick auf §1 Absatz 2 und §1 Absatz 3. Dort werden alle betroffenen Produkte und Dienstleistungen aufgezählt. Die Aufzählung ist abschließend, das heißt, wenn Sie Ihre Produkte dort nicht finden, müssen Sie die Anforderungen des BFSG nicht beachten. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Liste mit der Zeit erweitert wird.

Wozu ein neues Gesetz?

Das Ziel, Produkte barrierefrei zu gestalten, ist nicht neu und es gibt dazu bereits diverse Regelwerke wie zum Beispiel die DIN 18040 Teil 1 "Barrierefreiheit im öffentlichen Raum" oder die DIN EN ISO 9241-171 "Barrierefreiheit von Software". Auch die wichtigste Norm für Technische Redakteure, die IEC/IEEE 82079, enthält Regeln zur benutzerfreundlichen Gestaltung von Informationsprodukten. 

Mit dem neuen Gesetz sollen die Vorhaben zur barrierefreien Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen EU-weit harmonisiert werden. Zwar ist die Liste der vom Gesetz betroffenen Produkte und Dienstleistungen noch überschaubar, aber der Grundton des Gesetzes und der dazu verfügbaren offiziellen Informationen lässt vermuten, dass die Liste stetig wachsen wird. Denn das Ziel, nicht nur die lebenswichtigen Bereiche barrierefrei zu gestalten, sondern Menschen mit Behinderung inklusiv am Alltag teilhaben zu lassen, lässt sich mit einer derart eingeschränkten Auswahl nicht erreichen.

Was steht konkret drin?

Wenn von "Behinderung" gesprochen wird, sind Sinnesbeeinträchtigungen gemeint. Deshalb wird an verschiedenen Stellen gefordert, dass Informationen "über mehr als einen sensorischen Kanal zur Verfügung gestellt werden" müssen. Das heißt, wenn am Produkt etwas piept, muss auch etwas blinken. Oder andersrum. 

Für Texte, z.B. in Anleitungen, heißt das, dass der Text auch vertont, also vorgelesen werden können muss. Auch für "nicht-textliche Informationen" wie Bilder oder Symbole muss es eine alternative Ausgabe geben. Hier kann Alternativtext hinterlegt werden, der dann wiederum auch vorgelesen werden kann. Allerdings ist darauf zu achten, dass nur relevante Inhalte vorgelesen werden. Wir kommen darauf später noch einmal zurück.

Eine wichtige Forderung aus dem Gesetz betrifft die so genannten assistiven Hilfsmittel. Zur Verfügung gestellte Informationen müssen von diesen Hilfsmitteln verarbeitet werden können. Dazu muss man in die Lebenswelt von beispielsweise blinden Menschen eintauchen und analysieren, welche Hilfsmittel existieren und wie sie diese nutzen. 

Dabei müssen es nicht immer spezielle Hilfsmittel für Blinde sein. Ein gängiges Hilfsmittel im Alltag ist wie bei allen anderen Menschen auch das Smartphone. Ein ertastbarer QR-Code auf der Verpackung kann also genügen, um das Tor zu Ihren Inhalten für blinde Menschen zu öffnen.

Was ist zu tun?

Wenn Ihre Produkte grundsätzlich auch von Menschen mit Behinderung genutzt werden können und Sie diese barrierefrei gestalten wollen, sollten Sie folgendermaßen vorgehen:

  • Zielgruppenanalyse mit Fokus auf Menschen mit Behinderung, vor allem mit Sehbehinderung. Fragen Sie sich: Wie kommen Blinde im Alltag zurecht und welche Hilfsmittel gibt es.
  • Normenrecherche: Welche Normen und sonstige Regelwerke existieren für Ihre Produkte im Bereich Barrierefreiheit und was fordern sie?
  • Produktanalyse: Welche Probleme ergeben sich für Blinde beim Umgang mit Ihrem Produkt? Können die Informationen auf der Verpackung, auf dem Produkt und in den Anleitungen in der Praxis wahrgenommen werden?
  • Prioritäten setzen: Identifizieren Sie die Barrieren und schätzen Sie den Aufwand für deren Beseitigung. Beginnen Sie mit den Barrieren, die sich am schnellsten wegräumen lassen.

Wichtig: Dokumentieren Sie Ihr Vorgehen, Ihre Erkenntnisse und Maßnahmen detailliert. Sie brauchen die Informationen im weiteren Verlauf für die Konformitätserklärung und falls die Marktüberwachungsbehörden Interesse an Ihrem Verfahren zeigen. 
 
Für Mitarbeiter in der Technischen Redaktion ist zumindest Basiswissen über die barrierefreie Gestaltung von Informationsprodukten erforderlich. Da in den meisten Redaktionen PDFs erstellt werden, sollten Sie sich zum Beispiel mit den Barrierefreiheits-Werkzeugen in Adobe Acrobat etwas näher befassen. Damit können Sie auch relativ einfach prüfen, wie es bei Ihren aktuellen Dokumenten mit der Barrierefreiheit aussieht.

Wie weiter oben bereits erwähnt, sind folgende Merkmale zentral für die Bereitstellung barrierefreier Dokumente:

  • Die Inhalte müssen markiert, bzw. getagged sein. Diese Tags enthalten Metadaten zu den jeweiligen Inhalten und steuern die Sprachausgabe. So wird definiert, was in welcher Reihenfolge vorgelesen werden soll.
  • Nicht-textliche Inhalte wie Bilder und Symbole müssen mit Alternativtext versehen sein. Dieser Alternativtext wird ebenfalls vorgelesen und sollte deshalb möglichst kurzgehalten werden. Es ist z. B. nicht nötig, Informationen einer Handlungsanweisung im Alternativtext des Bildes noch einmal zu wiederholen.
  • Für das Verständnis nicht relevante Inhalte ­– so genannte Artefakte – dürfen nicht vorgelesen werden. Dazu gehören zum Beispiel Kolumnentitel oder die Alt-Texte reiner Schmuckbilder. 

Zeitlose Grundsätze barrierefreier Gestaltung berücksichtigen

Diese eher technischen Kriterien sollten natürlich berücksichtigt werden. Sie sind aber im Vergleich zu den in unserer Branche üblichen Qualitätsmerkmalen eher zweitrangig. Viel wichtiger ist, dass Informationen

  • auf das Wesentliche beschränkt,
  • klar strukturiert
  • und eindeutig formuliert sind.

Nach wie vor sind viele Anleitungen auch für Menschen ohne Behinderung schwer verständlich. Vor allen anderen Maßnahmen ist es ratsam, die bestehenden Informationsprodukte zu prüfen und ggf. Barrieren abzubauen. Anschließend können Sie diese relativ einfach fit machen für die Anforderungen des neuen Gesetzes.

Fazit

Wenn Sie ihre Produkte auch an behinderte Menschen verkaufen wollen, sollten Sie deren Wünsche und Anforderungen berücksichtigen. Damit kommen Sie nicht nur den gesetzlichen Forderungen nach, sondern erschließen sich eine nicht unwesentliche Zielgruppe. Der Aufwand, um Ihre Technische Dokumentation gesetzeskonform zu gestalten, ist relativ überschaubar – wenn die ohnehin geltenden Regeln zur Barrierefreiheit bereits eingehalten werden.

Sie fragen sich, wie Sie Ihre Technische Dokumentation barrierefrei machen können? 

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